8.12.2023

Fluchtreflex bis Versagerbank

„Kein Problem ist unlösbar, sobald man es als normale Aufgabe betrachtet“

Rudolf Dreikurs

 

Alle Jahre ist es mal wieder so weit, die Läden sind schon lange voll mit Schokkokläusen und -tannzäpfen. Die Regale beginnen sich zu biegen von der Fülle all der Lebensmittel und den möglichen Geschenken. Die Aktionen geben sich die Klinke in die Hand und locken uns verzweifelten Menschen zum Kauf. Im TV beginnen wieder die herzrührenden grossen Werbeaktionen all der kommerziellen Firmen. Da wird einem gerade warm ums Herz!

 

Gerade in der Weihnachtszeit werden die Verzweiflung und der Stress wirklich klar sichtbar. Alle wünschen einander ruhige und besinnliche Adventszeit und Weihnachten, Zack und ab in den riesen Stress, „Best Price“, Aktionen und eine Überhäufung von Lebensmittel und Geschenken. Das gehört ja zum guten Ton. Oh ja, heute muss ich ja noch zum Yoga und meine Achtsamkeitsübung habe ich auch noch nicht gemacht, Atmen muss ich auch noch mindestens zehn Mal tief ein, aus, ein, aus….. Wo gibt es jetzt das Spielzeugauto nochmals am günstigsten??

 

Achtsamkeit ist so ein grosses Wort und leider ein leeres Modewort geworden. Jeder ist ja heute schon mal in einem Kurs gewesen, oder hat ein Buch/Artikel darüber gelesen und weiss sehr gut, wie das geht. Wenn ich meinen Kunden oder auch Umfeld dieses Tun näherbringen will, hör ich oft: „jaja, ich weiss was das ist und ich sollte dies und jenes machen!“, zack ist der Moment schon vorbei und das leidige Thema abgehackt. Die Gesundheitskosten steigen stetig weiter an und bei jeder Krankheit, wirklich jeder Krankheit hat Stress einen negativen Einfluss. Dan wäre es ja logisch genau beim Stress-„Virus“ anzusetzen, oder? Hm, ja eben das Wort Stress ist auch schon so ein schönes Modewort. „ich habe stress, weisst du?!“, klingt doch gut, oder? Da weiss man gleich, man hat was zu tun, ist wertvoll und leistungsfähig, wenn’s dann nicht mehr geht, hat man ein Burnout,klingt auch toll! Würde Stress = Fluchtreflex heissen und Burnout= Versagerbank würde das nicht mehr so hip klingen. „ich habe Fluchtreflex und bin auf der Versagerbank, weisst du?!“, klingt schon doof.

 

Dabei leben wir mit den besten Achtsamkeitstrainer/n zusammen, der Natur und den Tieren. Viele Menschen besitzen ein Haustier, Katze, Hund, Nagetier und viele mehr. Gerade den Tieren sagt man nach, dass sie kein Zeitgefühl haben, was heisst denn das? Sie wissen nicht ob Morgen oder Abend ist? Nein, sie leben im Moment, da sie die Fähigkeit, sich bewusst Gedanken über die Vergangenheit und die Zukunft, nicht haben. Das heisst nicht, dass sie sich an nichts erinnern oder komplexe Zusammenhänge in naher Zukunft nicht kombinieren können. Sondern sie machen sich keine Schuldgefühle oder Ärger über die Vergangenheit oder Sorgen und Angst über die Zukunft. Sie leben und denken eben im jetzigen Moment. Achtsamkeit und Stress Entschleunigung ist genau das! Und zwar nicht nur in der Yoga-Stunde oder im Achtsamkeits-Kurs, sondern Tag täglich von morgens bis abends, je besser uns das geling, je weniger Fluchtreflex entwickeln wir und landen nicht auf der Versagerbank.

 

Wir merken alle, dass das ein ziemlich ernstes und anstrengendes Problem ist. Jeder sehnt sich danach dieses Problem zu lösen und schein das Ziel Meilenweit entfernt zu sein. Nehmen wir Rudolf Dreikurs beim Wort und behandeln dieses Achtsamkeitsproblem als normale Aufgabe wird es einfacher. Achtsamkeit darf nicht verkommen zu einer Übung 1x am Tag, sondern muss eine Lebenseinstellung werden, nur dann zeigt sie auch wirklich entschleunigende Wirkung. Jeden Tag erhalten wir immer wider sooo viele Übungsmöglichkeiten um Achtsamkeit zu üben und unseren Stresspegel zu senken, gesünder, entspannter und glücklicher zu werden. Hier mehrere Beispiele:

 

Sich kümmern

Ich habe Kopfschmerzen, dass passt jetzt gerade nicht, diese blöden Kopfschmerzen halten mich von … ab. Ich ärgere mich, werfe eine Tablette ein und weiter geht’s oder auch nicht. è Unser Körper ist keine Maschine, ob wohl sie wirklich schon fast so funktioniert. Er sendet Signale: Schmerzen, Unwohlsein, Übelkeit, Gefühle, usw., weil er was braucht. Die Signale beginnen oft leise und sanft, werden sie ignoiert, werden sie immer stärker, bis sie unser Bewusstsein beherrschen. Es lohnt sich auf seinen Körper zu hören und ihn zu fühlen. Genau jetzt, wie fühlst du dich? Wenn du dich genau jetzt nicht beschwingt, fröhlich, motiviert und gesund fühlst, dann hör mal genau hin, was will dein Körper gerade jetzt und kümmere dich um dich, um deinen Körper/Psyche. Viele Menschen gehen mit sich selbst um, das wünsche ich nicht einmal meinen ärgsten Feinden. Kümmere dich um dich selbst, liebevoll, wie eine Mutter um ihr Kind, wie ein liebender Lebenspartner oder wie dein bester Freund.


Dankbarkeit

Wir haben es alle gelernt, manche besser, manche weniger, ich spreche von „Danke sagen“. Die Forderung: „Sag Danke!!“, und pflichtbewusst wurde das Wörtchen gebrummt und erledigt war es. Dankbarkeit geht viel tiefer und hat deshalb auch ein viel grössere Wirkung in uns selbst, nicht für den anderen. Mein Magen hat sich gerade gemeldet, ich habe seine Muskelwindungen zum „Knurren“ wahrgenommen. Ich bin dankbar, dass ich jetzt in die Küche gehen und etwas Gutes aus dem Kühlschrank zum Essen auslesen kann. Ich habe kalte Füsse und tatsächlich finde ich noch ein zweites Paar Socken, die ich anziehen kann. Du denkst jetzt sicher melodramatisch, ja, ist ja selbstverständlich: Nein ist es nicht! Wir müssen uns das wieder mehr bewusst werden. Nichts ist selbstverständlich. Es ist nicht einmal klar, ob du oder ich den morgigen Tag auch noch geschenkt bekommen. Dankbar sein für alle Dinge, Erlebnisse und Menschen in unserem Umfeld, lässt uns diese auch bewusstwerden und geniessen. Somit lassen sie unseren Fluchtreflex entschleunigen, ein einfaches Mittel für ins hier und jetzt zu gelangen.


Demut

Ich sehe zum Fenster heraus und da fliegt ein Milan elegant seine Kreise, es stürmt ordentlich und doch gelingt ihm, trotz der Windkapriolen, elegant auszusehen. Der Milan interessiert sich nicht für mich, für ihn bin ich nicht wichtig. Noch unwichtiger bin ich für den Berg im Hintergrund, frisch weiss bepudert und angestrahlt von der Morgensonne. Grosses massives altes Gestein, es ist schon so lang da und wird nochmals so lange da sein. Ich bin ein so unwichtiger Teil auf dieser Erde, so klein und doch so einzigartig. Das erfüllt mich mit grosser Demut. Der Milan zieht weiter seine Kreise, der Berg bleibt standhaft an Ort und die Sonne erfüllt mein Büro mit Sonnenstrahlen.

Diese kurze Sequenz ging genau 20 Sekunden, hinterlassen hat sie ein wolliges Gefühl und ein offenes Herz für weitere schöne Momente.

 

Das unscheinbare erkennen

Hat dich heute schon jemand angelächelt? Nein!? Bist du sicher!! Ich wage zu behaupten, dass dich heute sicher schon jemand angelächelt hat, aber du es nicht wahrnimmst. Wir sind oft so mit unseren Gedanken beschäftig, dass wir unser Umfeld nicht erkennen. Deshalb schau dich um, was siehst du, hörst du, riechst du, usw. Es gibt immer etwas positives zu entdecken, du musst es nur sehen, hören und reichen wollen. Ich sitze am Laptop im Büro und sehe mich jetzt gerade um. Da liegt eine Einladung zu einer Geburtstagsparty im Boho-Style, nicht zu vergleichen mit dem Borat-Style😉. Ich sehe einen Spruch von André Gide „Man entdeckt keine neuen Erdteile, ohne den Mut zu haben, alte Küsten aus den Augen zu verlieren.“, wohl wahr! Ich höre gerade leise und sanfte Atemgeräusche von meinem Seniorhund, der ganz tief zu meinen Füssen schläft, stunden könnte ich ihm zusehen beim Schlafen. Sieh dich um, was hast du alles Wundervolles um dich.

Freude am geben

Bald ist Weihnachten und was ist das Wichtigste an Weihnachten, man sagt die Geschenke. Doch oft hat dies einen schalen Nachgeschmack, schenken ist Pflicht oder wird erwartet und vorausgesetzt, oder ich schenke, weil ich auch ein Geschenk will, also egoistisch motiviert. Ein Geschenk ist doch dem anderen etwas Gutes tun, ohne dies an Bedingungen zu knüpfen, also selbstlos. Muss es den immer ein materieller Wert sein, oder gibt es noch andere Geschenke. Wie wäre es mit „Vortritt lasen im Strassenverkehr“ oder in der Warteschlange respektvoll abstand halten, ein lächeln. Es gibt so viele Möglichkeiten einem anderen Menschen etwas zu schenken ohne einen eigenen Vorteil daraus zu erwarten. So entstehen oft wunderbare kleine Momente für die andere Person, aber oft auch für einem selbst….

 

Ich hoffe, du kannst dich mit diesen kleinen und alltäglichen Beispielen vom Problem lösen und eine alltägliche einfache Aufgabe aus dem Achtsamkeitstraining machen. Wenn du dabei Hilfe brauchst, ich hätte da gerade eine Idee. Ich sehe vor mir einen Waldspaziergang mit einer Gruppe mit einfachen Übungen um sich selber und die Individualpsychologie besser kennen zu lernen……. Hm, vielleicht entwickelt sich ja daraus ja noch ein grösseres Projekt.

 

Ich denk mal weiter darüber nach, in diesem Sinne achtsame und entspannte Weihnachten.

 

liebi Grüsse


Evelyn