2. Jun, 2022

Lebensstil – Lebenskonstrukt oder unser roter Persönlichkeitsfaden

„Es kommt nicht darauf an, was einer mitbringt, sondern was er daraus macht!“ Alfred Adler

Wie du im letzten Blog erfahren hast, nimmt jedes Kind schon in frühen Jahren seine Umwelt mit allen Sinnen war. Es beobachtet, schaut und hört zu, es fühlt die Gefühle die dabei entstehen, fühlt Schmerz, Enttäuschung, Trauer oder Freude, Leichtigkeit, Mut, usw. Durch diese willkürlichen und sehr unterschiedlichen Erlebnisse bildet sich das Kind seine einzigartige Meinung über sich und sein Umfeld. Mit kindlichen Eindrücken werden diese Situationen bewertet und auf Wiederholungen geprüft. Daher die Aussage Adlers: es kommt nicht darauf an, was jemand mitbringt (Gene, Herkunft und Erlebnisse), sondern was er daraus macht, also welche Schlüsse/Meinungen das Kind daraus zieht. Unser Charakter, also Lebensstil, wird im zarten Alter von ca. 4-8 Jahren gebildet und natürlich auch mit den damaligen kognitiven Fähigkeiten. Unterschieden wird vor allem in die Meinungen über sich selbst, also wie ich sein sollte, wie ich mich verhalten und denken sollte, was ich darf oder nicht darf. Mit dieser gebildeten Meinung über mich, entsteht eine sich wiederholendes Verhaltensmuster, welches mein Lebensstil immer wieder zu bestätigen sucht. Aber ich bilde mir auch eine Meinung über die anderen, wie diese alle sind, wie sie sich verhalten und denken sollen, was sie dürfen und nicht dürfen. Bei der Meinung über die anderen werden noch unterschiedliche Rollen definiert, die grössten Unterschiede bilden Mann und Frau, aber auch Alter wird definiert, was dürfen ältere Personen, was dürfen Männer, was dürfen Frauen, was dürfen Jüngere oder eben nicht, usw. Jedes Kind stellt sich seine eigenen Meinungen und somit seine eigenen Verhaltensmuster aufgrund seiner erlebten Auswahlmöglichkeiten selbst zusammen, es übt diese an sich und seinen Mitmenschen und prüft, ob sein Verhalten seine Meinung über sich und die anderen immer wieder bestätigt. Entsteht dadurch irgendwie ein positives Gefühl, wird dieses Verhalten wie in Stein gemeisselt. Unreflektiert leben wir noch heute nach den kindlichen Meinungen und Lebensstilen und bestätigen diese immer wieder mit unseren erlernten Verhaltensmustern. Sind diese positiv Zielführend für uns, meistern wir die Anforderungen des Lebens problemlos. Ist der Lebensstil aber eher negativ formuliert, geraten wir immer mehr in anstrengende und energieraubende Situationen oder befinden uns sogar in ernsten Schwierigkeiten mit den Anforderungen des Lebens.

H. Mosak hat sich in den 70er Jahren mit der Typisierung von Lebensstilen auseinandergesetzt, diese wurden im Buch „Das Leben selbst gestalten" von Theo Schoenaker (RDI-Verlag 2006) abgebildet:

1. Ich stelle gerne die anderen Menschen in meinen Dienst, wobei ich mich aktiv oder passiv verhalten kann. Um dieses Ziel zu erreichen, kann ich andere einschüchtern, charmant, launisch oder auch schüchtern sein. Ich sehe das Leben oft als ungerecht an, da es mir häufig versagt, was ich für mein gutes Recht halte. Ich bin eigentlich nie richtig zufrieden.

2. Ich bin fast ständig in Bewegung und habe dabei das Gefühl, ich müsse mich beeilen, um all' das zu Ende zu bringen, was ich noch tun sollte. Ich bin so gewissenhaft und meinen Zielen so hingegeben, dass ich mir nur selten Ruhe und Muße gönnen kann. Ich spüre dabei jedoch so etwas wie eine Angst, ich könnte ein Versager sein, und die übersteigerte Aktivität könnte vielleicht ein Mittel sein, um diese Angst zu überdecken.

3. Ich möchte mein Leben unter Kontrolle haben. Überraschungen schätze ich im Allgemeinen nicht. Auch spontane Reaktionen suche ich möglichst zu vermeiden, und ich zeige auch nicht gerne meine Gefühle, da sie meine Selbstkontrolle beeinträchtigen könnten. Dem gegenüber bewege ich mich lieber in geistigen Bereichen. Ich halte auf Ordnung. Von mir fordere ich, dass ich das Rechte tue, und ich stelle so hohe Erwartungen an mich, wie kein anderer. Etwas besser komme ich mir schon vor, wenn ich sehe, womit sich die anderen begnügen.

4. Ich muss Recht haben und Recht behalten. Auf diese Weise kann ich mich über die anderen stellen. Richtig und falsch sind für mich die eigentlichen Kriterien. Für Unklarheiten und Ziellosigkeit habe ich kein Verständnis. Es ist für mich wichtig, möglichst wenig Fehler zu machen. Werden mir aber trotzdem Fehler nachgewiesen, suche ich mich zu verteidigen, indem ich auf die Fehler der anderen hinweise.

5. Ich funktioniere am besten, wenn ich mich überlegen fühle, und meide gerne Situationen, in denen ich nicht im Mittelpunkt oder vorne stehen kann. Um mich in solchen Fällen von den anderen fernhalten zu können, vergrabe ich mich auch schon mal für längere Zeit in ein Hobby oder tue etwas, was eigentlich nichts bringt. Wenn ich nicht unter den Ersten oder Besten sein kann, bin ich unter den Letzten oder Schlechtesten, oder ich mache überhaupt nicht mehr mit.

6. Es ist für mich ganz wichtig, dass mich alle mögen. Schon wenn einzelne mich ablehnen, fühle ich mich irritiert und gestört. Ich reagiere auf Kritik besonders empfindlich und halte es für eine Niederlage, wenn ich irgendwo keine Zustimmung finde. Ich versuche zu spüren, was anderen Menschen gefallen könnte und ändere schon mal meine Meinung, wenn ich damit mehr Zustimmung finde. Ich sehe meinen Wert abhängig von den Wertschätzungen der anderen.

7. Ich will ein guter Mensch sein und stelle an mich höhere moralische Maßstäbe, als es die anderen bei sich tun. Manchmal sind die Maßstäbe sogar übermenschlich hoch, wenn ich einen Fehler für völlig unverzeihlich halte. Meine überhöhten Maßstäbe können mir das Gefühl geben, den anderen moralisch überlegen zu sein. Andere Menschen fühlen sich so durch mich öfter entmutigt.

8. Anforderungen des Lebens gegenüber bin ich häufig negativ eingestellt. Ich weiß besser wogegen ich bin, als wofür. Ich kann dabei meine Ablehnung offen zeigen; ich kann sie aber auch zum Ausdruck bringen, indem ich mich passiv verhalte und die Wünsche und Forderungen der anderen überhöre oder umgehe.

9. Ich bin ein Pechvogel. Mit mir würde wirklich niemand tauschen. Anscheinend bin ich etwas Besonderes. Ich bin schon zu bedauern, aber da kann man eben nichts machen. Was ich schon alles an Unglücksfällen hatte und wie oft ich nur so eben noch daran vorbeigekommen bin! Ich hätte tatsächlich oft mehr Mitgefühl verdient!

10. Ich leide ähnlich wie der Pechvogel, aber ich leide für ein hohes Ziel (Sache oder Prinzip). Ich empfinde mich manchmal als ein Opfer all' des Unrechts, das es um mich herum gibt. Märtyrer könnten sich so gefühlt haben. Manchmal demonstriere ich mein Leiden vor einem gleichgültigen Publikum.

11. Ich finde meinen Platz im Leben durch Charme und Witz. Oft sind die anderen damit ganz leicht dazu zu bewegen, das zu tun, was mir nützlich ist. (Vielleicht bin ich das Nesthäkchen der Familie gewesen. Vielleicht ist meine Stimme hoch und erinnert in Rhythmus und Klang an die eines Kindes).

12. Nichts gelingt mir richtig gut. Ich habe zwei linke Hände und ich bin unbeholfen. Deshalb beschränke ich mich, wenn irgend möglich, auf das, wobei ich Erfolg habe. Verantwortung kann mich so sehr belasten, dass ich gerade dann besonders versage. Andere nehmen mir vieles ab, da es ihnen ja leichter fällt. Ich fühle mich wirklich weniger fähig als die anderen und ihnen unterlegen.

13. Ich hatte meine Gefühle und spontanen Reaktionen zurück. Ich fürchte, dass ich sonst die Situation vielleicht nicht mehr kontrollieren könnte. Wer weiß, was dann daraus wird! Ich verlasse mich lieber auf meinen Verstand. Probleme sind eben nur mit Vernunft zu lösen. Ich schätze den Intellekt, die Logik und eine vernünftige - nicht gefühlsbestimmte - Sprache. Für Gemeinschaft habe ich nicht sehr viel Sinn.

14. Ich hasse Routine und suche Abwechslung, Spannung, Abenteuer. Ich könnte ein Spieler sein. Wenn das Leben monoton wird, scheue ich oft keine Mühe, damit wieder etwas los ist. Ich brauche andere Menschen; besonders halte ich mich an solche, die für mich interessant sind, und von denen ich Spannung und Action erwarten kann. Manchmal ziehe ich mich auch von anderen Menschen zurück und suche Aufregung in einem Buch oder im Film, auch in Träumereien oder erotischen Phantasien.

Ich bin sicher, du hast dich in einem oder mehreren oder auch nur Teilen der Definitionen wieder erkannt. Je offener und ehrlicher du mit dir selbst bist, je besser erkennst du deine Stolpersteine des Lebens und natürlich auch dein Entwicklungspotenzial. Evtl. sind dir auch gegensätzliche Teile aufgefallen, wie mir. Ich erkenne mich stark im dritten Abschnitt wieder, besonders diese Sätze: «Ich möchte mein Leben unter Kontrolle haben. Dem gegenüber bewege ich mich lieber in geistigen Bereichen (ich denke über vieles nach). Ich halte auf Ordnung. Von mir fordere ich, dass ich das Rechte tue, und ich stelle so hohe Erwartungen an mich, wie kein anderer. Etwas besser komme ich mir schon vor, wenn ich sehe, womit sich die anderen begnügen.» Im Gegensatz dazu steht dann der Abschnitt 14: «Ich hasse Routine und suche Abwechslung, Spannung, Abenteuer. Ich könnte (bin!) ein Spieler sein. Wenn das Leben monoton wird, scheue ich oft keine Mühe (Ausbildungen, Geld, Zeitaufwand), damit wieder etwas los ist. Ich brauche andere Menschen; besonders halte ich mich an solche, die für mich interessant sind, und von denen ich Spannung und Action erwarten kann.» Wie ich diese beiden konträren Meinungen immer wieder unter einen Hut bringe, frage ich mich oft selber, aber es hat den Anschein, dass ich das kann, 😊. Natürlich habe ich noch weitere Übereinstimmungen mit anderen Lebensstilsätzen die Mosak definierte.

Mehr dazu gibt es in meinem nächsten MUTig-leicht Blog

Viel Spass beim Nachdenken, liebi Grüessli Evelyn